Was sind Porn Studies?

Porn Studies bezeichnet das akademische Arbeitsfeld der Pornographie aus einer kulturtheoretischen oder kulturwissenschaftlichen Perspektive. Sie geht interdisziplinär vor und betrachtet vielfältige Aspekte der Pornographie konzentriert. Film und Gender Studies spielen da eine große Rolle. Nach schwerem Start und wenig Anerkennung der Scientific Community hat sich ein lebendiges Feld entwickelt. Und trotzdem passierte mir es einst, dass ein Rektor meine Präsentation an einer Konferenz zudrehen wollte, weil ich explizites Material zeigte. Anerkannte Wissenschaft ja – doch immer noch NSFW.

Aller Anfang ist weiblich: Porn Studies Pionierin Linda Williams

Pionierin der Porn Studies ist zweifellos Linda Williams. Die Filmwissenschafterin der Universität Berkeley hat sich ursprünglich mehr mit dem Musical und dem Melodram beschäftigt und dann angefangen, ihre Theorien auf Pornographien umzulegen. Sie begann mit der Annahme, dass gewisse Filme den Body Genres angehören. Body Genres sind Genres, die körperliche Reaktionen erzeugen können. Komödien bringen uns zum Lachen, Dramas zum Weinen, Horrorfilme zum Fürchten und Pornos erregen sexuell. In einem weiteren Schritt tätigte sie die erste profunde Pornoanalyse.

Vom Musical zum Porno? Das hat gut geklappt. Es gab dort bereits eine starke Theorie, welche das Verhältnis aus Narration und Nummern betrifft. Narrationen sind quasi Teile der Geschichte, in den Nummern wird gesungen und getanzt. Ob es sich um getrennte Welten hält oder beides fließend ineinander übergeht, lässt weitreichende Interpretationen zu. Das wendete sie erfolgreich auf Pornographie an. Mit einem Augenzwinkern könnte man meinen, der Begriff der „Nummern“, der hier die Sex-Akte meint, hätte das schon vorausgesagt. Ihre Bücher „Hard Core“ und „Porn Studies“ fehlen in keinem Bücherschrank Porn Studies Treibender.

 

Ursprünge: Die Cultural Studies aus Birmingham

Porn Studies hat sich aus den Cultural Studies entwickelt. In ihrer Tradition stehen alle Studien, die sich nach diesem Schema benennen, wie auch die Gender Studies, Queer Studies, Film Studies, Postcolonial Studies, etc. An sich steht es allerdings für eine akademische kritisch analytische Denkweise, die sich nicht an Traditionen hält. Angewendet werden Theorien, Methoden, etc. die am besten zum Gegenstand der Untersuchung passen.

Geboren wurden die Cultural Studies am Contemporary Centre for Cultural Studies (CCCS) in Birmingham, das 1964 von Richart Hoggart gegründet wurde und damit das Feld der Cultural Studies eröffnete. Damit war ein starker Cocktail aus Soziologie, Kultur- und Medientheorie geschaffen, die bisherige Annahmen von rigider Unterteilung in aktive ProduzentInnen und passive KonsumentInnen ins torkeln brachte. Das ist auch zu einem guten Teil dem mittlerweile verstorbenen Stuart Hall zu verdanken. Menschen werden nicht wie in der alten Propagandatheorie von Medien manipuliert, sie verwenden Medien, eignen sie sich mitunter sogar widerständig an.
Das Centre zeigt sich auch verantwortlich für die Subkulturforschung und damit im allgemeinen dafür, dass Jugend- und Subkulturen ein ernstzunehmender Gegenstand wurden. Das bedeutete auch, dass diesen Bewegungen eine höhere gesellschaftliche Anerkennung entgegenkam, als zuvor. Man wollte sie einst noch als faule, destruktive und fehlgeleitete Jugendtrödeleien abtun. Nun konnten sie auch als Motor gesellschaftlicher Veränderung betrachtet werden. Von der Soziologie, von der man sich abgespalten hatte stets skeptisch beäugt, wurde das unliebsame Zentrum 2002 unter weltweiten Protesten geschlossen.

 

Das Stiefkind des Stiefkindes: Porn Studies und die CS

Trotz starker Offenheit für Popkultur blieben Blindspots. Jüngere VertreterInnen kritisierten zunehmend, dass man zu zögerlich dabei sei, sich der Pornographie anzunehmen. Während die älteren Semester der CS und damit die etablierten Wissenschaffenden zwar mit ihrer popkulturellen Offenheit rühmten, was beispielsweise Hip-Hop angehe, zeigten sich beim Porno starke Ressentiments. Darin sind sie ihrer intellektuellen Elterngeneration, der klassischen Soziologie, zwar ein Stückchen voraus, die sich eher für harte, zählbare Fakten sozialer Phänomene interessiert. Sie konnten erstmals auf Bedeutungskonstruktionen und Zirkulation von Jugend- oder Subkulturen zugreifen. Vor der Pornographie machten sie aber halt. Dann auf einmal doch zu Dirty. Ich selbst wurde dafür angefeindet. In meiner frühen Tätigkeit meinte ein etablierter Prof, einer der bekanntesten Namen der CS im deutschsprachigen Raum, ich würde doch nur Marketingtricks einer millionenschweren Industrie auf den Leim gehen. Heute hat sich das Forschungsgebiet weitgehend etabliert, beim Filmforum Udine/Gorizia gibt es eine eigene Porn Studies Sektion auf der jährlichen Konferenz .

Porn Studies MagazinEs gibt mittlerweile auch ein Magazin mit dem gleichnamigen Namen Porn Studies, dass Pornographie als Forschungsgegenstand etabliert und zeitgenössische Ansichten und Ergebnisse in Umlauf bringt. Es wurden von Feona Attwood und Clarissa Smith gegründet.

 

 

Unser Ruf ist gut in schlechten Kreisen

Aller Anfang ist schwer. Gehen die Porn Studies in ihr drittes Jahrzehnt, so muss die Anerkennung unserer Arbeit hart erkämpft und laufend verteidigt werden. Ich trug auf einer Konferenz im Hauptsaal vor, als der Rektor der dortigen Universität bei der Panelleiterin intervenieren wollte, meine Präsentation augenblicklich zu stoppen. Man könne im Hauptsaal einer Universität keine Pornos zeigen. Ich hatte meine Argumente mit Anschauungsmaterial unterlegt. Wenn man etwas studieren möchte, so muss man mindestens hinsehen können. Im Line-Up einer Konferenz sind wir gern gesehen, wir füllen die gähnende Leere der Hörsäle. Wir kriegen zwar die Slots, die volle Anerkennung wird aber wohl noch etwas auf sich warten lassen. Das geht Hand in Hand mit der Anerkennung der Pornographie als mehr denn Masturbationsvorlage, nämlich als kulturelles Phänomen in der Gesellschaft. Bis dahin trösten wir uns damit, die Rock-Stars der Scientific Community zu sein. Unbeliebt, zensiert, skeptisch beäugt und doch Publikumsliebling auf jeder Konferenz. Ich kann mir Schlimmeres vorstellen.