Was ist Post-Porno?

Ist Post-Porn noch Pornographie oder schon „nach“  dem Porno (post=lateinisch für nach, zeitlich später liegend)? Es beinhaltet genauso wie andere pornographische Genres explizite Darstellungen von Sexualität. Doch ist es jenseits ihrer Konventionen. Es hält sich nicht an den plumpen Glauben an die Authentizität, die Spontanität des Sexes und das Wahrheitsversprechens des Bildes. Post-Porno ist die (selbst)reflexive Variante der Pornographie. Ein Porno, der sich selbst dekonstruiert. Doch wo kommt es her? Und was macht es genau?

Post-Porn als künstlerische Strömung

Post-Porn entstammt einer künstlerischen Strömung der 1980er Jahre. Der Begriff wird der Pornodarstellerin und Künstlerin Annie Sprinkle zugeschrieben. Ihr „Public Cervix Announcement“ markiert für viele die Geburtsstunde einer künstlerischen Pornographie. Diese war  politisch wie intellektuell motiviert. Ab 1989 perfomte sie damit und brachte Pornographie in einen künstlerischen Kontext. Die Porno-Darstellerin bewegte sich aus dem „Porno-Ghetto“ in die Galerie. Dort stellte sie ihren Muttermund aus. Hierbei hat sich eine Transformation von der Sexarbeiterin zur Performance-Künstlerin vollzogen. Sie ließ Museumsbesuchende mittels Spekulum ihren Muttermund betrachten. Sprinkle selbst war zuvor im konventionellen Porno tätig. In den 90er Jahren wendete sie sich davon ab, um sich ihren eigenen Arbeiten zu widmen. Es handelte sich um Videos, Performances, Live-Shors und Texte. Die drehten sich um Themen wie weibliche, queere oder transgender Sexualitäten. In zahlreichen Selbsthilfe-Videos animiert sie Menschen zu einem offenen und postiven Umgang mit der eigenen Sexualität.
Sie soll „Post-Porn“ als Begriff auch als Erste promotet haben. Es etablierte sich daraufhin eine künstlerisch-pornographische Niesche mit starker nähe zu transfeministischer und queerer Kunst. Größtenteils handelte es sich um Arbeiten aus Video- und Performancekunst. In den deutschsprachigen Porn-Studies popularisierte Tim Stüttgen den Begriff mit seinem Symposium „Post/Porn/Politics“, das 2006 in Berlin stattfand.  Dort widmeten sich AktivistInnen wie Bruce LaBruce, Beatriz Preciado, Katja Diefenbach oder Annie Sprinkle der Frage, wie Porno emanzipatorische Funktionen erfüllen kann.

 

Post-Porn, Annie Sprinkle, Public Cervix Announcement

 

 

Post-Porno war von Beginn an stark von den Cultural Studies und den Anfängen des Third-Wave Feminismus beeinflusst. Es ist vielleicht die einzige Strömung der Pornographie, die klar auf einen akademischen Ursprung zurückzuführen ist. Die Zuwendung zur Sexualität als Gegenstand war von dem starken Anstieg an Pornoproduktionen in den 80ern und 90ern beeinflusst. Vor allem aber auch vom Zusammenbruch elaborierter Produktionen am Ende des Golden Age of Porn der 70er. Und dem Siegeszug des Amateur-Pornos. In den 90ern kam noch Netporn und Gonzo dazu. Insofern ist es eine Gegenbewegung zum plumper werdenden Porno. Aber auch zum Anti-Porno-Feminismus. Sie suchten nach neuen Zugängen und sahen in Sex ein Werkzeug zur Emanzipation. Dabei ging es aber nicht immer lüstern zu. Auch Schmerz oder Verstörendes konnten im Zentrum der Arbeit liegen. Es ging um einen reflexiven Zugang dazu, was Sex und Geschlechterrollen bedeuten. Genau das ist immer noch das Hauptmerkmal von Post-Porn.

Die Idee von Post-Porn ist es schon, der Masse an Mainstrema-Produktionen, misogynen Tendenzen und normativen Repräsentationen etwas entgegenzusetzen. Insofern ist es in die Alt Porn Bewegung einzuordnen (alt=alternative, eine Bewegung für andere Pornographie). Von anderen Vertretenden, wie beispielsweise Feminist, Queer oder Arthouse Porn unterscheiden sie sich aber doch. Sie sind viel reflexiver, meist auch selbstreflexiv. Das nicht nur im Zugang zum pornographischen Arbeiten, sondern im filmischen Ausdruck selbst. Sie versuchen, ähnlich Feminist Porn, nicht nur (weiße) Männlichkeit als Subjekt des Begehrens zu zeigen. Sie versuchen auch, ähnlich wie Queer Porn, andere Körpertypen oder Formen des Begehrens zu promoten. Mit Arthouse Porno verbindet es, dass künstlerische und experimentelle Verfahren verwendet werden.
Grenzen sind insofern nicht immer leicht zu ziehen. Allerdings versuchen alle diese Vertretenden in der Regel ein schönes Produkt herzustellen, dass immer noch Begehrlichkeiten dient. Post-Porn kann das auch, zielt aber nicht immer darauf ab. Manchmal verzichtet es sogar ganz darauf, sexuell anregend zu sein. Post-Porno, so Borghi, zeigt noch eine Reihe von Tendenzen. verwendet Prothesen, rückt den Anus in das Zentrum des Interesses, bricht binäre Vorstellungen, ist Kapitalismuskritisch, sieht den Körper als Labor für Experimente, Arbeitet an Praktiken und hinterfragt sich selbst. Mitunter stößt es vor den Kopf, widert an, verstört, irritiert. Post-Porn hat einen politischen, aber auch einen intellektuellen Anspruch.

 

Post-Porn heute

Seit die Anfänge verebbt sind, ist Post/Porno eher ein Begriff für das Feld pornographischer Arbeiten an Kunstuniversitäten und im queeren Aktivismus. In der Alt Porn Szene hat sich indessen eine andere Ästhetik durchgesetzt. Es findet sich entweder ein rauer, punkiger, amateurhafter Look wieder, der vor allem in der Queer Szene dominiert. Oder aber eine Hochglanzästhetik, wie aus Modemagazinen oder dem Playboy, wie sie der Fem Porn vorwiegend adaptiert.

Arthouse Vienna bringt künstlerische Verfahren wieder in den Rahmen pornographischer Filmproduktion. Das geschieht wiederum durch die Arbeit von Menschen, die sich im Umfeld der Kunst bewegen und ihre Arbeitsweise und Perspektive in die Pornographie bringen. Anders als in der künstlerischen Arbeit mittels sexueller Darstellungsformen, findet die Umsetzung aber im Rahmen der Pornoindustrie statt. Zu finden sind die Arbeiten unter dem Namen „Post/Porn“ bei Arthouse Vienna, eine Serie, die dort von Adrineh Simonian, Patrick Catuz und Alice Moe umgesetzt wird.

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Literatur zu Post/Porn:

 

Tim Stüttgen, Post/Porn/Politics, Post-Porn

Tim Stüttgen (Hg.): Post/Porn/Politics. Queer_feminist perspective on the politics of porn performance and sex_work as culture production. b_books, Berlin 2009.

 

 

 

 

Porn after Porn, Enrico Biasin (Editor),‎ Giovanna Maina (Editor),‎ Federico Zecca (Editor), Post-Porn

Rachele Borghi: Post Porn. Or, Alice’s Adventures in Sexland. 165-189.
In: Biasin, Enrico/Maina, Giovanna/Zecca, Federico (Hg.): Porn After Porn. Contemporary Alternative Pornographies. Seite 21-37. Mimesis International. 2014.

 

 

 

 

Patrick Catuz, Feminismus fickt! Feministische Pornographei

Patrick Catuz: Feminismus fickt!
Lit-Verlang. Wien/Münster, 2013.