Wieso man Kunst nicht vom Künstler trennen kann

Es gibt eine kunsttheoretische und eine empathische Perspektive zur Frage, wie man mit Fehltritten von Menschen umzugehen hat und ob damit ihre Werke auch anders – oder sogar gar nicht mehr betrachtet werden sollten. Was es jedenfalls nicht ist, ist ein Kampf um Kunstfreiheit, zu dem es viele gerne machen wollen – vor allem Beteiligte und Umfeld von Tätern, die damit versuchen, ihre Felle ins Trockene zu bringen. Kunst ist nun mal nicht vom Künstler zu trennen. Wie wir damit umgehen, sollte vom Kontext abhängig sein.

Zunächst einmal zeigt die Debatte ein großes Unverständnis von Kunst an sich. Der Umgang mit Fällen wie Teichtmeister oder Seidl zeigt nicht nur die Weigerung der Filmwirtschaft, sich selbst zu hinterfragen, sondern auch ein falsches Verständnis von Kunst. Es ist nicht nur so, dass Kunst nicht vom Künstler getrennt werden kann, Kunst kann nicht ohne Kontext betrachtet werden. Viele Werke sind ohne Informationen über biografische Details oder Motivationen oder andere Kontextfaktoren zur Entstehung, spezifische Genreinformationen, kunsthistorische Entwicklungen und Strömungen sogar gänzlich unverständlich. Kunst ist immer eine Reflektion persönlicher Biografien, Herangehensweisen, Werten und Glaubenssätzen – um nicht zu sagen: Weltbilder – der Kunsttätigen. Das Leben besteht aus Erfahrungen, Emotionen, Gedanken und Theoriegebäuden, die Werke beeinflussen. Das hat manchmal eingeschränkte Relevanz, wie bei sehr technischen Zugängen wie Zwölftonmusik oder Eisensteinscher Schnitttechnik oder sehr persönlichen, wie Frida Kahlos Malerei, in der sie schmerzhafte persönliche Erfahrungen zu kraftvollen Kunstwerken kanalisierte oder eben vor allem bei Schauspielenden, die häufig auf ein emotionales Repertoire aus dem eigenen Leben zurückgreifen, um Figuren glaubhaft darstellen zu können. Ein Schauspieler spielt eben nicht nur, er bemüht eine individuelle Erfahrung, überträgt sie, damit sein Schauspiel Gefühle oder Beweggründe glaubhaft vermittelt.

Gleichzeitig zeigen viele Kunstwerke nicht nur Verbindungen zu persönlichen Erfahrungen oder Umständen, sie weisen sogar Artefakte aus dem Leben von Menschen auf. In einer TV-Debatte um den Fall Teichtmeister wurde gefragt, ob man Mühl auch nicht mehr zeigen dürfte. Der bekannteste Proponent des Wiener Aktionismus hatte damals in seiner Kommune Kinder missbraucht. Tatsächlich ist das nicht nur ein Nebenschauplatz im Leben eines Mannes, der sonst großartige Werke produziert hat, beides ist direkt miteinander verbunden. Mühl hatte in Aschebildern.

Beim Film Corsage hat sich die Produktion nun nicht mit Ruhm bekleckert. Es hat sich herausgestellt, dass man zu Beginn der Dreharbeiten von den Vorwürfen erfahren hat, dem Täter aber geglaubt hat, dass nichts dran sei. Marie Kreuzer rechtfertigt sich damit, dass sie niemanden vorverurteilen könne. Damit hat sie durchaus recht. Aber in solchen Fällen ist dringend geraten, die Sache restlos aufzuklären, bevor man zur Tagesordnung geht. Und selbst wenn es mit Umständen verbunden ist, hätte der Betreffende, selbst wenn er unschuldig gewesen wäre, seine Vorhaben suspendieren sollen (oder suspendiert werden sollen), bis die Sache bereinigt ist. Marie Kreuzer ist damit wissentlich das Risiko eingegangen, dass ein Mann, der an der Verbreitung von Bildern und Videos von Kindesmissbrauch beteiligt ist, prominent in ihrem Film vertreten ist und das zu einem Zeitpunkt, als sie die Rolle noch neu besetzen hätte können. Ich verstehe, dass es schwer ist, jahrelange Arbeit vernichtet zu sehen, doch es war ihre eigene Entscheidung, dieses Risiko auf das Wort des Beschuldigten hin einzugehen. Sie hätte zum Zeitpunkt der Fertigstellung theoretisch die Szenen kürzen oder nachdrehen können, um den Film zu retten – eine Mammutaufgabe, die aber nicht zum ersten Mal bewältigt worden wäre. Stattdessen hat man sich dazu entschieden, den Kopf in den Sand zu stecken, jede Verantwortung abzulehnen und so zu tun, als hätte man nicht mit der Sache – oder dem Täter zu tun gehabt. Zumindest ein Rückzug aus dem Oscar-Rennen hätte noch eine gewisse Haltung gezeigt. Es wäre ein konsequenzloser Akt gewesen, da der Gewinn aufgrund Hollywoods No-Tolerance-Policy seit #MeToo ohnehin unwahrscheinlich war. Doch man hat sich dagegen entschieden und beschränkt sich auf eine peinliche Opferrolle.

Kann man Mühl also auch nicht mehr zeigen? Hier nähern wir uns der empathischen Komponente an, aber zunächst gibt es noch einen Aspekt, der unsere historische Verantwortung betrifft. Natürlich dürfen und sollten wir auch solche Künstler noch ausstellen, nicht nur weil sie kunsthistorisch relevant sind, sondern auch weil ihre Geschichten Lehrstücke der menschlichen Existenz sind. Wir sollten mit dem männlichen Geniekult aufräumen (der Fehlverhalten häufig noch begünstigt hat) und Menschen in ihrem vollen Spektrum anerkennen. Es gibt nicht nur perfekte Lichtgestalten oder Schurken. Wir sollten Mühl also noch ausstellen, ihn allerdings dabei kontextualisieren, offen mit seinen Verbrechen umgehen, sie thematisieren und damit auch historisch aufarbeiten. Selbiges trifft für die Sezessionisten zu, auch Klimt und Schiele haben Kinder missbraucht. Das in der Sezession auszuweisen wäre kein Schandfleck in der österreichischen Kunstgeschichte mehr, denn den gibt es sowieso, ob wir darüber sprechen oder nicht. Es wäre ein Schandfleck weniger in der Geschichte der Aufarbeitung.

Es geht also nicht darum, Täter auszuradieren, die Geschichte rückwirkend zu ändern. Aber es geht darum, ihnen nicht die Möglichkeit zu geben, sich zujubeln zu lassen, als wäre nichts geschehen. Mich begleitet mit der Cosby Show ein nostalgisches Gefühl. Ich bin mit der Huxtable-Familie aufgewachsen. Ich hätte schon eine gewisse Sehnsucht, mir mal wieder eine Episode anzusehen. Und doch bringe ich es nicht über das Herz, weil ich Bill Cosby nicht mehr mit denselben Augen sehen kann, seit ich weiß, dass er unzählige Frauen unter Drogen gesetzt und betäubt hat, um sie zu vergewaltigen. Das ist die einzig empathische Komponente, und selbst die würde bereits reichen, gegen diese Trennung zu plädieren. Empathie ist hier nicht Mitleid in Bezug auf die Opfer. Es ist ein Gefühl im Sinne einer menschlichen Reaktion, in meinem Fall einer Publikumsreaktion. Und die macht das Werk nun mal schwer erträglich, genau wegen dem, was der Künstler angerichtet hat. Auch wenn man es nicht sieht.