Das Schweigen der Männer zu #metoo

Eigentlich hatte ich mit #MeToo-Nachbetrachtungen schon abgeschlossen, da wurde ich aus meinem Dornröschenschlaf gerissen. Schuld war ein Blogeintrag zum Schweigen der Männer zu Sexismus. Ist das so? Haben Männer zu irgendetwas schon einmal geschwiegen? Mir kommt vor, Männer hätten sich sogar sehr viel zum Thema geäußert. Teilweise in einer Art, dass es mir lieber gewesen wäre, sie hätten ihre Ignoranz tatsächlich in Schweigen gehüllt.

Foto: ©Thomas Leuthard, Creative Commons Licence CC BY 2.0

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(Der Artikel ist im Original bei den Feministischen Zwischenrufen des Gunda WernerInstitutes erschienen)
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Erst kürzlich meldete sich Oscar-Preisträger Michael Haneke zu Wort. Der Regisseur von „Das weiße Band“ und „Amour“ hätte den Zug der Ignoranten beinahe verpasst, rutscht das Thema doch langsam von der Agenda. Als Spätberufener wollte er dafür umso deutlicher zeigen, welch Geistes Kind er ist. Für ihn handelt es sich um eine „Vorverurteilungshysterie“, die er ekelhaft findet. Er vermutet hinter vielen Anschuldigungen in erster Linie Abrechnungen. Der falsche Vorwurf ruiniere Leben, der Shitstorm des männerhassenden Puritanismus im Kielwasser der #MeToo-Bewegung vergifte das gesellschaftliche Klima. Man hätte die Hexenjagd besser im Mittelalter belassen sollen. Was Haneke nicht versteht ist, dass die Beschuldigung konkreter Personen, wie Harvey Weinstein und die #MeToo-Debatte nicht dasselbe sind. Die Vorwürfe gegen den Filmproduzenten kamen von einer Enthüllung der New York Times. Das war bestenfalls ein Impuls für #MeToo, damit direkt zu tun hat es aber nichts. Denn bei dem Hashtag ging es nicht darum, Einzelpersonen zu ahnden. Es ging darum, die Alltäglichkeit von sexuellen Übergriffen zu verdeutlichen. Wenn Haneke sich schon nicht damit beschäftigen will, hätte es ihm besser gestanden, zu schweigen. Ironischerweise beginnt seine Stellungnahme damit, dass man als Mann zu diesem Thema kaum mehr etwas sagen sollte. Hätte er nur auf sich gehört.

 

Haneke war aber nicht der erste Mann, der sich unqualifiziert geäußert hat (und ist sicher nicht der letzte). Da war mal ganz am Anfang Christian Gesellmann in der Zeit. Er beginnt gleich mit einer Anekdote, einer Erzählung von einer Frau, die ihn aggressiv angebaggert habe. Das fand er zwar lästig, er habe aber auch darüber nachgedacht, sich einen blasen zu lassen. Als eine Kollegin im Büro dann nach männlichen Meinungen zu #MeToo fragte, sagte er laut, es sei ein wichtiges Thema und dachte sich leise, sie solle doch die Klappe halten. Sympathischer Bursche. Jetzt sei es ihm aber doch wichtig geworden. Nämlich zu sagen, dass er es vorher einfach nicht verstanden habe. Obwohl er immer wieder Geschichten von Frauen über Belästigungen gehört habe, bei manchen Vorfällen sei er sogar dabei gewesen, aber kapiert habe er nichts. Woran das liegt? Weil ihm niemand gesagt habe, wie bescheuert er sei. Genau das sei Teil des Problems, so der Autor. Und er schließt mit dem Satz: „Dafür wünsche ich mir aber auch eins: dass Frauen Männern öfter sagen, wenn sie Idioten sind.“
Lieber Christian, vielleicht darf ich einen Teil der Verantwortung übernehmen, die du Frauen* zuschiebst: Das Problem ist nicht, dass sich Frauen* unklar ausdrücken. Das Problem ist, dass Männer nicht zuhören. Es ist nicht Aufgabe von Frauen*, dir zu sagen, dass du ein Idiot bist. Das kannst du auch alleine herausfinden.

Doch es war bestimmt gut gemeint. Entscheidend ist aber nicht, ob man darüber redet, sondern wie. Wir müssen uns selbstreflexiv der Sache nähern. Und auch da lauern ein paar Fallen. Ich selbst bin in eine davon getappt, denn auch ich habe mich früh dazu geäußert. Ich wandte mich der männlichen Teilhabe zu, wie sie in den ursächlichen Strukturen zu finden ist, die wir Rape Culture nennen. So bezeichnet man in der Gewaltschutzbewegung Kulturen, Gesellschaften, soziale Schichten oder Gruppierungen, in denen sexuelle Gewalt gerechtfertigt, toleriert, entschuldigt oder geduldet wird.
Ich wollte Männer dazu bringen, nicht mehr ablehnend auf das Thema zu reagieren. Ich wollte sie dadurch ins Boot holen, dass ich eine Entschuldigung einbaue, einen Grund, weshalb sie es bisher nicht verstanden haben – ja nicht verstehen konnten. Damit sich niemand aus der Affäre zieht, habe ich mich dann damit beschäftigt, wie selbst die „Guten“, also jene, die keine dummen Sprüche bringen, nie jemanden betatscht oder bedrängt haben, auch Teil des Systems sind. Ich finde diese Herangehensweise nach wie vor nicht falsch. Das heißt aber nicht, dass sie deshalb besonders gut ist.

 

Die Aktivistin Helga Pregesbauer erklärt den Begriff „Rape Culture“:

 

Die Frauen*, welche es mit ihren eigenen Geschichten geschafft haben, dass dieses so dringende gesellschaftliche Problem auf so breiter Basis diskutiert wird, haben es sich nicht so leichtgemacht. Sie haben sich nicht hinter Anekdoten und Versachlichungen versteckt. Das Thema war so stark, weil es von der Courage dieser Frauen getragen wurde. Was haben Männer produktiv dazu beigetragen? Die bekanntesten männlichen Hashtags zum Thema finden sich unter #notall und #menot. Sie beinhalteten oft eine genervte Antwort auf die Erzählungen der Frauen, die sie zu diskreditieren suchten.

Und dann gab es noch #mentoo. Es wäre ja wichtig über männliche Erfahrungen mit Übergriffen und sexueller Gewalt zu sprechen. Aber als Selbstausdruck und nicht als Antwort auf die Geschichten der Frauen. Die Opferrolle Frau sei zu kurz gegriffen, da es Männern auch passiere, so die Haltung. Die Idee von #MeToo war aber gar nicht, dass so etwas nur Frauen* passiert. Es macht schon Sinn, dass Männer von ihren Erfahrungen mit sexueller Gewalt erzählen. Aber ihrer selbst willen.
Man könnte nun davon ausgehen, dass viele der Täter selbst einst Opfer waren. Es ist nicht einfach, das Stehen zu Verletzlichkeit ist kein großes Kapitel im Buch der männlichen Sozialisation. Im Gegenteil: Von Kindheit an wird uns vermittelt, damit stünde unsere Identität auf dem Spiel. Von klein auf erntet man dafür Spott.
Mit Brendan Frasier hat nun ein prominenter Mann damit angefangen. Der Schauspieler erzählte von einem sexuellen Übergriff durch Philip Berk, dem ehemaligen Präsidenten der HFPA, der Organisation hinter den Golden Globes. Frasier entfloh der Situation, fragt sich aber mittlerweile, ob er seitdem auf einer Art schwarzen Liste stehe, da ein Knick in seiner bis dahin starken Karriere folgen sollte. Berk hingegen ist immer noch Mitglied der Vereinigung. Wir sollten Männer darin bestärken, von diesen Erfahrungen zu erzählen und die Betroffenen darin vergewissern, dadurch nicht ihre Männlichkeit zu verlieren. War Brandon Frasier zuvor nicht auf einer Blacklist, so ist er es spätestens jetzt. Seinem Ruf wird das Stigma wohl mehr anhaften, als seine Filme und Preise. Für den nächsten Mann ist es aber vielleicht schon leichter.

Doch bei #MeToo geht es nicht allgemein um sexuelle Übergriffe. Die Aktivistin Tarana Burke hat den Slogan schon vor über zehn Jahren ins Leben gerufen, um Solidarität durch Empathie unter Frauen zu fördern, die Missbrauch erlebt hatten. Niemand könne betroffene so verstehen und stärken, wie Menschen, die das selbst erlebt hätten. Über Nacht wurde der Slogan von Alyssa Milano übernommen, als sie Frauen dazu aufforderte, unter dem Hashtag das Netz mit ihren persönlichen Erfahrungen zu fluten. Milano hatte sich weder mit der Herkunft des Slogans, noch mit Burkes Arbeit vertraut gemacht. Tarana Burke unterstützte die neue Hashtag-Kampagne dennoch und befand es auch für sinnvoll, dass darin auch sexuelle Belästigung miteinbezogen wurde. Damit sollte verdeutlicht werden, dass sexuelle Übergriffe für Frauen* geradezu alltäglich sind.
Davon können Männer einfach nicht sprechen. Ich persönlich kann solche Vorfälle an einer Hand abzählen. Der Schlüssel liegt aber nicht im Unterschied, sondern in der Gemeinsamkeit. Denn auch in den männlichen Geschichten wird statistisch betrachtet nicht immer, aber im überwiegenden Großteil der Fälle ein Sachverhalt zutreffen: Dass die Täter meistens Männer sind. Das deckt sich auch mit meinen persönlichen Erfahrungen. Ich erinnere mich an wesentlich mehr Männer, die mich auf der Tanzfläche im Schritt betatscht haben, die mir gefährlich nahekamen, um mir zu erzählen, was sie mit mir vorhätten. Und ich habe keine Sekunde darüber nachgedacht, ob ich mir einen blasen lassen sollte. Ich bin skeptisch, ob der Kollege den Spruch auch bei männlichen Aggressoren so lapidar von sich gegeben hätte.

Haben wir ein Schweigen der Männer zu beklagen? Ich glaube nicht, dass wir uns ernsthaft Sorgen machen müssen, dass sich kein Mann mehr finden wird, der meint, es besser zu wissen – egal um welches Thema es geht. Worüber wir uns Sorgen machen müssen, ist, ob diese Männer auch sinnerfassend zuhören. Daran lassen mich die bisherigen Stellungnahmen zum Thema zumindest stark zweifeln. Erst dann würde es Sinn machen, dass sie dazu den Mund aufmachen. Aber auch nur, wenn sie ihre Stimme dazu nutzen, sich öffentlich zu solidarisieren.

 

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(Der Artikel ist im Original bei den Feministischen Zwischenrufen des Gunda Werner Institutes erschienen)
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