Der Ibiza-Club: Toxische Männlichkeit in der Politik

Plan A der türkis/schwarzblauen Regierung war Teflon: Nichts beantworten, nichts an sich heranlassen, sich nicht stellen. Total Message Control. Nachdem ein Videobeweis nicht nur im Fußball zwingend ist, hat das bei Vizekanzler und Ibiza-Boy Strache nicht mehr geklappt. Dann ist „Boys will be Boys“ eine Masche, die funktioniert, selbst wenn damit Korruption entschuldigt werden soll. „Fesche Buben ohne Anstand“ schrieb Pinkstinks dazu, weil Strache meinte, es sei halt eine „b’soffene G’schicht“ gewesen. Toxische Männlichkeit wie aus dem Lehrbuch.
Gehen wir mal den Weg von der glatten Regierungsbank zu den Ibizaboys und wieder zurück zum Messias.

Zuerst war selbst die FPÖ paralysiert, zu sehr auf Kurz Antihaft-Beschichtung eingestimmt. Nach ein paar Tagen war man wieder auf (altem) Kurs. Wie Judith Kohlenberger vom Institut für Sozialpolitik der Wirtschaftsuniversität Wien in einer Reihe von Tweets aufschlüsselt, enthält das Narrativ der FPÖ zur Verteidigung ihres gefallenen Chefs das Konzept toxischer Männlichkeit:

 

 

Toxische Männlichkeit

Strache sei ein prahlerischer Teenager gewesen, der mit Macho-Gehabe die Gastgeberin beeindrucken wollte, die er „bist du deppat, is die schoaf!“ fand. Verständlich, oder? Einer „scharfen“ Frau macht man halt was vor. Und wer hat nicht unter Alkoholeinfluss schon mal was Dummes gemacht?

In der Strategie findet sich eine Reihe typischer Rechtfertigungen, mit denen männliches Fehlverhalten relativiert wird, wie der Verweis auf den Einfluss von Alkohol und Drogen. Eine Regierungskrise durch das Angebot, die Republik gegen eigenen Vorteile zu verkaufen, damit zu rechtfertigen, man sei halt betrunken gewesen, treibt die Denke von „Boys will be Boys“ auf die Spitze (sogar die Regierungsspitze). Das Fehlverhalten wird auf die Ebene eines Moments der Schwäche gebracht. Scheinbar gut genug, um die FPÖ nicht abstürzen zu lassen und Strache ein Vorzugsstimmenmandat für das EU-Parlament zu sichern.

Bedenklich genug, es geht aber noch dreister: Gudenus’ Anspielungen, ihm sei unwissentlich etwas eingeflösst worden, sind umso perfider, als da es sich dabei um ein gravierendes Problem handelt, dem sich Frauen massiv ausgesetzt sehen. Ich persönlich kenne schon fast mehr Fälle von Vergewaltigungen unter Anwendung von K.O.-Tropfen in meinem erweiterten Umfeld, als ich an beiden Händen abzählen kann und ich gehe nicht davon aus, dass mir alle Leute davon erzählen. Nur in einem Fall war nicht eine Frau betroffen. Ein krasses Problem toxischer Männlichkeit.
Da herrscht eigentlich schon Alarmstufe rot. Doch von solchen Problemen möchten die Parteien, die vom „Gender-Wahn“ sprechen und sich als Verteidiger „unserer Frauen“ gerieren, wenn sie damit Muslime schikanieren können, aber nichts wissen. Die ÖVP hat Gewaltschutz und Frauenvereine sogar massiv gekürzt.

 

Echter Mann oder Messias?

Strache, Schürzenjäger und Macho, ein echter Mann eben, der in seiner Jugend bei paramilitärischen Übungen mit Gewehr vor der Kamera posierte (Jahre in der Neonazi-Szene zur „Jugendsünde“ geschrumpft), mimt für seine Anhänger den „echten Mann“. Darüber ist er nun gestolpert. Dann ist er halt ein dummer Junge, dann ist es nicht ganz so schlimm und er darf in zweiter Reihe wieder mitspielen. Das Landbauer-Manöver hat im Kleinen funktioniert, wieso nicht im Großen?

Anders verhält es sich für den Strahlemann selbst. Sebastian Kurz braucht das nicht, er fährt immer noch gut mit seiner Teflon-Strategie. Er ist vorerst abgesetzt, hat aber bei der EU-Wahl einen großen Erfolg erzielen können. Als wäre ein Kanzler nicht verantwortlich für das Tun seiner Minister. Als habe er nicht gewusst, mit wem er sich einlässt. Kurz hat nichts verfehlt. Er ist unfehlbar.
Der Wahlkampf der ÖVP war gänzlich auf ihren Messias zugeschnitten. Obwohl er sich nicht einmal in’s EU-Parlament wählen lassen wollte (er will ja nicht einmal in das österreichische). Die männliche Erzählung der ÖVP ist weniger brachial als jene der FPÖ, aber deshalb nicht weniger problematisch. Ihre Inszenierungen entwickeln einen Führerkult, dessen politische Zentrum das „Ich, ich, ich“ des Sebastian Kurz darstellt. Ein Auserwählter, ein Retter, eine unfehlbare Figur, die einzige Hoffnung.

Es ist aber nicht die Kirche, sondern der Staat und das sind zum Glück verschiedene Dinge. Eine Demokratie braucht Politiker, die man kritisieren kann. Wir brauchen Politiker, die Kritik annehmen. Denn Politik braucht Kritik, damit sie ihren Kurs korrigiert, wenn er falsch ist. Andernfalls bewundern wir den hübschen Jungen, der so schön sprechen kann, immer noch, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter Parteikontrolle ist, die privaten Medien seinen reichen Kumpels gehören und die Zivilgesellschaft nicht mehr existiert. Wenn es so weit ist, braucht er den Schein nicht mehr. Ein Orban, Erdogan oder Putin muss Kritik nicht ignorieren. Es gibt sie nämlich nicht mehr.

Ob der Messias nun Kurz oder Kern heißt, der dumme Junge nun Strache oder Pilz, andere Politker sind rar, auch auf der Oppositionsbank. Vielleicht braucht es auch einfach Frauen, um eine andere Politik zu machen. Präsident van der Bellen versucht es zumindest mal. Der Trick des Boys-Club könnte im Herbst dennoch wieder gelingen. Diese Art von Politiker funktioniert, weil der Dualismus des Auserwählten oder des dummen Jungen tief in unserem Bild von Männlichkeit verankert ist.
Hoffentlich haben wir bald genug davon. Solange wir es noch abwählen können.